Wie bleiben (Innen-)Städte attraktiv? Wie können ungenutzte Flächen und Läden sinnvoll und nachhaltig genutzt werden? Und welche regionalen Besonderheiten spielen eine Rolle? Diesen und weiteren spannenden Fragen gingen am gestrigen Montag regionale und nationale Fachleute auf der zweiten „Fachtagung Zwischennutzung“ im Jenaer TRAFO nach. Rund 40 geladene Teilnehmende diskutierten, wie positive Effekte durch solch eine zeitlich begrenzte Nutzung bestimmter Flächen für den Stadtteil entstehen. Organisiert wurde die Tagung durch uns, BLANK Agentur für Zwischennutzung in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsförderung Jena und Unterstützung der Impulsregion Erfurt-Jena-Weimar.
Unterschiedlichste kommerzielle oder nicht-kommerzielle Formate können mit Hilfe von Zwischennutzung realisiert werden: PopUp Stores, Ateliers, Werkstätten, Ausstellungsräume, Kultur- und Begegnungsorte, Cafés und viele mehr. Diese verschiedenen Formen der zeitlich begrenzten Verwendung zu ermöglichen, stellt für den Jenaer Bürgermeister und Stadtentwicklungsdezernenten Christian Gerlitz ein besonderes Anliegen dar: „Mit einer temporären Nutzung von Flächen oder Gewerbeeinheiten entstehen an ungewöhnlichen Orten kreative Prozesse und Partizipation. So stärken wir gemeinsame innovative Gedanken von unterschiedlichsten Menschen, die an diesen Plätzen zusammenkommen.“ Dieser Austausch und Begegnung sorge für ein gewinnbringendes Miteinander, so Gerlitz.
Eine Institution, die dieses Miteinander an verschiedenen Orten in Jena ermöglicht, ist die BLANK Agentur für Zwischennutzung. Für Leiterin Katrin Hitziggrad, die die Fachtagung auch moderierte, entstehen durch Zwischennutzung vor allem freie Experimentierräume: „Unterschiedlichste Akteur:innen aus interdisziplinären Bereichen kommen zusammen und entwickeln neue Projekte und Geschäftsideen. Vor allem in Kunst und Kultur, aber auch Wirtschaft und in sozialen Kontexten – die Grenzen verschwimmen und das ist auch Ziel dieses Austausches.“ Gleichzeitig führen laut Hitziggrad vielfältige Zwischennutzungen zu mehr Aufenthaltsqualität vor Ort – denn Menschen gehen nicht nur zum Bummeln oder Shoppen in die Stadt, sondern vor allem auch, um anderen Menschen zu begegnen und Neues zu entdecken. „Obwohl wir in Jena wenig strukturellen Leerstand haben, finden sich trotzdem ungehobene Potenziale oder langfristig leerstehende Räumlichkeiten, die mit temporären Lösungen wieder einer Nutzung zugeführt werden können“, so Hitziggrad.
Von den spezifischen Herausforderungen einiger solcher „Experimentierräume“ berichteten verschiedene Tagungsteilnehmende. So erläuterte der Jenaer Unternehmer Julian Gimper, Inhaber des Vintage-Ladens Soyuz in der Bachstraße, seinen ökonomischen Prototyping-Ansatz. Ob eine Geschäftsidee sich wirtschaftlich trägt, lässt sich quasi im „Testlauf“ überprüfen, ohne dass langfristige Mietverträge oder umfassende Investitionen zu tätigen sind.
Ronny Lessau von der KreativTankstelle GmbH beschrieb, wie aus einer Brachfläche im Norden der Erfurter Altstadt der „WirGarten“ entstand – ein generationenübergreifender und interkultureller Gemeinschaftsgarten, in dem „zusammen gepflanzt, gebaut und gefeiert“ wurde. Finanziell trug sich das Projekt durch Eintritte zu Konzerten und Kulturveranstaltungen sowie Getränkeerlöse. In Zukunft entsteht auf der Fläche das „WirQuartier“, ein neues Wohnviertel mit Kindergarten, altersgerechtem Wohnen und moderner Infrastruktur. Das Konzept des WirGarten erfreute sich unterdessen einiger Folgeprojekte. In 2020 reaktivierte das Team den Stadtgarten Erfurt und beteiligte sich in 2021 an der Bundesgartenschau auf dem Petersberg. Dort wird an anderer Stelle im Sommer wieder ein Zwischennutzungsprojekt umgesetzt.
Ein zeitnaher Umzug steht auch für das Massif Central Frankfurt a.M. an. Die Gründer Jule Parulewski, Sven Seipp und Florian Jöckel erläuterten das Zwischennutzungskonzept einer alten Druckerei, die seit zwei Jahren eine Fahrradwerkstatt, ein Café, eine Bar und ein Kreativhub beheimatet. So entstand ein Ort der kreativen Entfaltung und des Austausches. Ab 2023 müssen aber neue Flächen gefunden werden.
Ein Punkt, der laut Patrick Werner von der Wirtschaftsförderung Jena eine besondere Herausforderung darstellt: „Zwischennutzungsprojekte leben vor allem durch engagierte Menschen. Allerdings können Projekte, in die viel Herzblut und Zeit investiert werden, zumindest am gleichen Ort nur zeitlich begrenzt umgesetzt werden.“ Dann heißt es, mit einer tollen Idee weiterzuziehen und sich wieder eine neue Bleibe zu suchen. In einer Stadt wie Jena mit einer Leerstandsquote von weniger als drei Prozent im gewerblichen Bereich sei dies oft kein leichtes Unterfangen, so Werner. „Nichtsdestotrotz können sich aus diesen Zwischennutzungskonzepten tolle Geschäftsideen und Kooperationen entwickeln, die einen Stadtteil sehr bereichern.“
Eine wichtige begleitende Funktion für Vereine, Initiativen und Kulturakteur:innen übernimmt in diesem Kontext in Jena seit 2014 die Kulturberatung Jena. Deren Leiterin Xenia Reich-Hemmerich will gemeinsam mit dem Dezernat für Stadtentwicklung, JenaKultur und der Zwischennutzungsagentur Strategien entwickeln, wie zivilgesellschaftliche Projekte langfristig eine verlässliche Perspektive erhalten können. Idealerweise könne dieser Gedankenaustausch auch in einem Kreativquartier für Jena münden, so die Kulturberaterin: „Besonders Kunst und Kultur brauchen stabile Strukturen und einen offenen, zielgerichteten Austausch. Dann können Prozesse und Projekte gedeihen und erblühen, die Jena noch bunter und vielfältiger machen.“
Ronny Lessau & Michael Reuter berichten über ihre Brachflächenaktivierung – WirGarten- in Erfurt.